Ein „Überraschungs-Konfekt“

In unserem Vorruhestand bleibt sie immer noch eine zähe Mitbewohnerin, die eingefleischte Hektik.

Heute ist eine Autorenlesung in der Lebendigen Bibliothek angesagt. Vorfreude auf ein eventuelles Treffen netter Bekannter stellt sich gleich mit ein – und der Zeitdruck dazu.

Wie üblich, springt mein Mann kurz vor dem Abendtermin noch schnell unter die Dusche, will wissen, was er anziehen muss.

„Was liegt eigentlich heute Abend an?“ Wie eine Dampfpumpe dröhnt seine Stimme aus dem Badezimmer.

„Weißt du doch, Christine Westermann aus ‚Zimmer frei!‘, sie ist auch Bestseller-Autorin“, schreie ich in den Duschdunst.

„Ach ja, schön“, gurgelt er zurück. „Kenne ich, stand ja auch in der Zeitung!“

 

Wir sind am Eingang der Stadtbücherei in Bottrop. Nur noch ein paar Minuten bis zum Beginn der Veranstaltung. Heute linker Durchgang und großer Zulauf, wird uns schnell klar.

Also, auf geht’s zum Kammerkonzertsaal über den Seiteneingang.

Mit weiten Schritten hetzen wir durch den schmalen Laufgang.

Eine Insiderin überholt uns leichtfüßig.

„Sie müssen sich nicht beeilen, die Dame ist noch nicht eingetroffen!“

 

Großflächige Plakate an den Innenwänden des Zugangs werben um Beachtung.

„Einer flog über das Kuckucksnest“, ruft mein Mann und schwebt mit wehendem Mantel dem Treppenhaus entgegen.

„War das nicht ein Film?“

„Ja, ja!“, pruste ich und sehe meinen Mann im Geiste abheben.

 

Am Ende der langen Passage stoppen uns Lift und Treppe. Synchron schreiten wir zum Treppenaufgang.

Eingefleischte Ehepaare treffen auch ohne Worte manchmal einhellige Entscheidungen.

Hastiger Aufstieg. Ich denke an die Zwangsbewegung für mein ungelenkes rechtes Knie, mein Mann – würde ich wetten – an ein knappes Herzmuskeltraining.

Oben angekommen landen wir direkt neben dem Verkaufstisch mit kunstvoll aufgestapelten Büchertürmen. Wir atmen geräuschvoller als gewöhnlich, blinzeln ins grell beleuchtete Foyer, stehen wie angewurzelt nebeneinander.

 

Nett gekleidete Menschen rundherum, freundliche Gesichter uns zugewandt. Wir fühlen uns stark beachtet, genießen in braver Ehepaaraufstellung die Situation und sind erst einmal entscheidungsunfähig.

„Hallo!“ und „guten Abend!“, klingt es von allen Seiten des Empfangskomitees.

Eine Dame im schlicht geschnittenen, dunklen Übergangsmantel schüttelt einige Hände: „Dann mach ich mal hier weiter!“ Sie strahlt uns mit einem gewinnenden Lächeln an, wendet sich weiteren Personen zu.

„Guten Abend!“, höre ich mich kleinlaut sagen und folge meinem Mann in den prall gefüllten Zuschauersaal.

„Sie hat uns die Hand gegeben“, flüstere ich mit gehobener heißer Stimme meinem Mann in den Nacken.

Er brummelt über die Schulter:

„Wer war das denn? Das Gesicht kommt mir irgendwie bekannt vor!“

 

Jutta Kieber

 

aus "Pardon auf den Lippen", Engelsdorfer Verlag 2013