Wie es sich gehört!?

Ihr Blick flackert zur Schießbude hinüber, verhakt sich in der Szene.

„Gewinnen Sie hier Ihren ganz persönlichen Kuschel-Bären, den Jahrhundert-Teddy. Sie können es schaffen!“

Dröhnende Männerstimme, plärrende Kirmesgeräusche.

„Und wieder ein Volltreffer, meine Herrschaften! – Für dich, mein Kind!“

Nussbraune Zöpfe – rote Schleifen eingeflochten. Kinderaugen strahlen den Mann an. Mädchenarme ergreifen das Stofftier. Ein zarter Mund formt den Dank. Tief ist der Knicks der Kleinen, ganz tief.

 

Nein!- Das nicht! - Grelle Erinnerungen.

Unausweichliche Bilder. Sie erstarrt.

Schon einmal – vor einer Ewigkeit.

Rot gelockt ist er, voller Sommersprossen. Nur auf der Durchreise, unangemeldet, lustig und amüsiert über ihr Dorfleben.

Ein Abenteurer, meint Mutter. 'Dein Kuss-Cousin! Es wird gehen, wenn man zusammenrückt. Veronika hat ein großes Bett. Und nur für eine Nacht.'

Seine Mama sei ein verrücktes Huhn gewesen. Konnte ihren Büstenhalter auf den Kronleuchter werfen, wenn ihr danach war. Mochte keine Ordnung halten.

Mutter lächelt in ihr verknotetes Kopftuch unter dem Hals.

Erstaunlich, wie er ihr gleiche. Das rote Haar und so! Er sei schon ein fescher junger Mann.‚Ja, ja, der Krieg – hat uns in eine fremde Welt geworfen!’

Fahl versinken Mutters Gesichtszüge.

Saubere weiße Bezüge auf den Feldbetten. Reinlich und anständig muss man sein, auch ohne Mann und Vater.

‚Armut schändet nicht – und Höflichkeit kostet nichts!’ Sie hört die Worte wieder deutlich.

Dieser Traum von damals, so gegenwärtig wie der Losverkäufer:

Riesenhände verschnüren sie zu einem Paket, mit einem nassen Bindfaden. Sie will schreien. Ihr Mund ist verklebt, mit Leimpapier verklebt.

Mutter püstelt ihr gleichmäßiges Schnarchen in die Morgendämmerung.

Sie reißt die Augen auf.

Ihr schmächtiger Körper zuckt, wird an die Wand gepresst. Eine starke Hand

verschließt ihren Mund. Die andere drückt ihre Knie zusammen.

‚Pst, sei ruhig, sonst wacht deine Mutter noch auf! Ich tu’ dir nichts!’

Sein Bauch klebt an ihrem Rücken. Warmes Unbekanntes schiebt vor und zurück. Durch ihre Schenkel. Seine Zunge leckt das gescheitelte Haar an ihrem Hinterkopf. Fauliger Mundgeruch.

Sie will den Kopf wegdrehen, muss würgen. Kurz ist die Flucht in wohlige Wärme – ihr Urinfluss verliert rasch seinen Schutz.

‚Auch das noch! – Ich muss den Frühbus in die Stadt kriegen.’

Er macht sich aus dem Bett.

‚Euer Plumpsklo ist doch ganz romantisch!’

Grinsen beim Abschied.

Sie steht vor Mutter. Ängstliche Starre. Sie hat doch noch nie gestottert. Nass das Nachthemd, mit großen Flecken besetzt. Sie zittert. Sie friert.

Schämen solle sie sich, wo sie doch bald in die Schule käme.

‚Und sag Dank für die Schokolade. Mach schon einen Knicks, wie sich das gehört!

– Wie bockig das Mädchen manchmal sein kann!’

Die Ohrfeige aus Mutters Hand bringt die zerzausten Zöpfe zusätzlich durcheinander.

 

Tränen? – Damals nicht.

Ihre kalten Finger wischen über feuchte Wangen.

 

Jutta Kieber