Mein Lampenfieber gehört mir

OT Eigen in Bottrop – Comedy im Saal – am 29. September 2013, ViB-Gast (Very important Bottropers), Autorin Jutta Kieber:

‚Nee, nee, nee, neee!’, schwingt in mir eine Maulwurf-Comedy-Stimme. Bottroperin, inzwischen ja, aber „sehr wichtig“? Gewiss nicht.

Was habe ich mir da bloß eingebrockt?

 

Büchertasche und Mut einpacken, Lampenfieber kurz in den Kofferraum sperren.

Gewusel und hektisches Treiben in allen wichtigen und unwichtigen Event-Räumen. Nette Mitwirkende, oberhalb und unterhalb der Showbühne. Musik- und Mikrofonprobe, knappe Gespräche, kurzes Vorstellen unter

Akteuren, alles umgangssprachlich normal und auch so gekleidet.

 

Der große und lange Mime Heinz-Peter bestätigt mir gleichfalls seine Aufgeregtheit. Ich schaue gern in sein heldenmutiges Lachen. Mein

Lampenfieber hakt sich dankbar bei ihm ein, begrüßt die Solidarität und lässt

zwinkernde Amuse-Gueules auf hübsch dekorierten Tischen außer Acht. Naschen – seit Stunden schon nicht mehr bei akuter Appetitlosigkeit vor dem großen Auftritt meiner „getalkten Dichterlesung“ von mindestens 8 Minuten. Noch nie zuvor auf einer Kabarett-Bühne durchlebt.

 

Prall gefüllter Saal. Mein Mann und ich finden Notplätze an der Tür. Im Nacken die Hälfte des Publikums. Jetzt gerade sitzen, Ischiaspieken abstreiten, und: warten, warten, warten.

Die Show beginnt. Hell, grell, laut, musikalisch gekonnt umpowert. Freundliche Begrüßung durch den in Eleganz getauchten Talkmaster

Benjamin. Mein Staunen springt in freudigen Rausch. Die heutigen Mitwirkenden werden vorgestellt. Mein Name fällt unter anderen.

 

Augenblicklich zieht sich meine Kehle zu, produziert aus unerschöpflichen bronchialen Tiefen Begleitung für ein ständig wachsendes Räuspern, das Drummerklänge momentan noch erlauben. Drei agierende Herren steigen steil auf zu Kabarettsternen und Darstellern, die lauthals frei Stakkato reden und auch noch singen können. Richtige „Rampensäue“, denke ich. Weiß nicht, ob dieses Modewort positiv oder negativ besetzt ist. Bewunderung schürt meine Furcht vor der eigenen Courage.

 

Freunde mussten beim Entree begrüßt werden. Bekannte sitzen im Publikum, darunter mein Gynäkologe. Jetzt nicht daran denken. Mein Herzklopfen hockt längst mit mir auf dem Stuhl, neben mir die Nervosität im Gesichtsausdruck meines Mannes.

„Hab’ keine Stimme mehr“, krächze ich ihm ins Ohr.

Drücke ihm Zettel in die Hand, krame nach einem Kräuterbonbon in meiner Tasche. Noch schnell vor dem Talk den Rachen übertäuben.

Lasse während der ohrenzerreißenden Musiknummer meine Stimmbänder mit einem leisen „Njom, Njem, Njam“ turnen. Rettende Erinnerung an meine Sprechausbildung im vergangenen Jahrhundert, angeblich eine Massage des Stimmorgans.

Werde nicht wie die jungen Akteure durch den Mittelgang spurten und auf die Bühne hüpfen. Muss ich sicher auch nicht im fortgeschrittenen

Schreibtantenalter und mit kurzen Beinen. Bonbon wieder auswerfen, es geht

gleich los.

 

Theaterstrahler gleißen schonungslos ins Podium. Schnell sitze ich auf dem schwarzen Sofa, vor mir das Mikrofon, sehe nur grelles Licht, kein Publikum. Der Moderator hat sich auf der Bühne an einem Schreibtisch versenkt, fährt die aufgeheizte Stimmung herunter, stellt mich und mein Buch mit feierlichem Ernst vor, erkundigt sich nach meiner Biografie und Schreibkunst, als ginge es um den Aufnahmetest zum weiteren Verbleib im Emscherland.

‚Du musst nur lächeln, immer lachen, dann sieste nich so alt

aus!’, kommentiert mein Ehemann als Gedankenblitz.

Meine Stimme ist wieder da. Schaffe frei gesprochene Antworten. Das Lesen aus dem Buch ist leichter, wird lustiger im Wechsel mit Benjamin Eisenberg. Seine gekonnte Otto-Imitation beim Vortrag meiner Limericks bringt

Zwischenapplaus.

 

Die Frage des Moderators nach dem Freien Deutschen Autorenverband erwartet eine knappe Erklärung aus dem Stehgreif, wird bald abgelöst vom Hinweis auf die nächste Lesung, auf meine Buchvorstellung in unserer Lebendigen Bibliothek, freundlich von Benjamin eingeleitet, von mir

gern ergänzt mit u. a. zu erwartender auch ernster Prosa.

 

Beifall für heitere Gedichte und Kurzgeschichte, herzhafte Lacher beim „Kompliment“.

Der Schluss meines Kurzauftritts lächelt einen Vers aus meinem Buch „Pardon auf den Lippen“ in den Raum:

 

Wenn man mich fragt,

warum ich schreibe und auch webe

kreuzweise manches Wortgespann,

dann sag ich leise, fast verschämt:

Weil ich nicht stricken kann.

 

Fast donnernder Applaus, Absprung in den Laufgang, zurück zu meinem Mann, der sich knapp erhebt und mir zuraunt: „War doch super, hätte

nicht gedacht, dass das klappt!“ Er hatte die ganze Zeit auf meinem Spickzettel gesessen.

 

Jutta Kieber                                                                        30. September 2013